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»Wollen sie mich alle prüfen?« fragte Ilse etwas besorgt. »Nein,« entgegnete das Fräulein, »aber sie werden zuhören, wenn Fräulein Raimar dich examiniert. Später wirst du dann erfahren, in welche Klasse du gesetzt bist, und morgen nimmst du zum erstenmal an dem Unterricht teil.« Ilse ging in ihr Zimmer und suchte ihre Hefte zusammen. Sie waren nicht in der besten Verfassung.
»Ball!« wiederholte Lilli, die erwacht war und das Wort gehört hatte; »ich will tanzen! Zieh mich an, Fräulein! Bitt schön, laß mich tanzen!« Fräulein Güssow warf der Vorsteherin einen verständnisvollen Blick zu, jetzt mußte dieselbe sich doch überzeugen, wie krank die Kleine war, – sie phantasierte. Aber Fräulein Raimar war nicht überzeugt und auch nicht erschrocken.
Bald wurde sie verfolgt, bald fiel sie vom Baume und zuletzt hatte sie sich in einen Vogel verwandelt und eine große Eule wollte sie fressen. – Früh am andern Morgen, als Fräulein Raimar ihren Spaziergang durch den Garten machte, blieb sie vor dem Apfelbaume stehen. Sie schüttelte den Kopf und rief den Gärtner.
»Miß Lead hielt langen, strengen Predigten und vorbereitete mich zu eine würdige Gouvernante. Fräulein Raimar mahnte mir täglich zu Ernst und Gediegenheit, nur Fräulein Güssow sah mir oft mit ein lang traurigen Blick an, der zu mich sprach: Thust mich leid, Darling, daß Du unter fremde Leute dienen mußt. »Der ernste Abschiedstag war da.
Ich glaube gern, daß es dir schwer wird, dein trotziges Ich zu zähmen, aber du mußt es thun, es ist notwendig. Siehst du nicht ein, Ilse, wie unrecht, wie ungezogen du gehandelt hast?« Diese schüttelte den Kopf. »Sie haben mich alle gereizt,« entgegnete sie abgebrochen schluchzend – »Fräulein Raimar hat mich so furchtbar blamiert – alle haben mich ausgelacht!«
Glaube mir, Trotz und Widerstand sind böses Unkraut in einem Mädchenherzen, und oftmals überwuchern sie die besten, heiligsten Gefühle! Geh’ hinunter, Kind, bitte Fräulein Raimar um Vergebung. Ueberwindest du heute deinen harten Sinn, so hast du gewonnen für alle Zeit!« Sie hatte warm und eindringlich gesprochen, und in ihren braunen Augen standen Thränen.
Aber Ilse setzte ihren Kopf auf, »dann gehe ich auch nicht,« erklärte sie mit aller Bestimmtheit. »Ohne Bob bleibe ich auf keinen Fall in der Pension!« Macket that dem Eigensinne den Willen aus Furcht, von neuem Thränen hervorzulocken. Aber Ilses Widerstand war ihm im höchsten Grade peinlich. Was sollte Fräulein Raimar denken!
»Laß mir nur machen,« meinte Nellie und machte ein höchst listiges Gesicht. »Heut’ abend, wenn Fräulein Raimar und alles andre auf seines Ohr liegt, dann erheben wir uns wieder von unsrem Lager und die mutige Ilse wird wie eine Katz’ leise aus die Fenster steigen und in der Baum klettern.
»Mache dir keine Sorge darum, liebste Flora,« gab Orla zurück, »denn höre und staune: Weil heute mein Geburtstag ist, hat Fräulein Raimar auf dringendes Bitten die hohe Gnade gehabt, unsern Aufenthalt im Garten heute abend bis um zehn Uhr zu verlängern!« »Himmlisch! Furchtbar reizend! Zu nett!« u. s. w. rief es durcheinander und Grete machte sogar einen kleinen, ungeschickten Sprung in die Luft.
Sie war im Begriffe, Ilse einen Kuß auf die Stirn zu reichen, als diese mit einer heftigen Bewegung den Kopf zurückbog. Es war ihr unmöglich, sich von der Vorsteherin küssen zu lassen, die sie in diesem Augenblicke geradezu haßte. Fräulein Raimar wandte sich unwillig von dem Trotzkopfe ab, ohne noch etwas zu sagen, und Ilse verließ das Zimmer.