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Man aß, und nach Tische wurde zu dreien eine Viertelstunde mit Karten gespielt, wobei Knulp seine Wirtin durch einige neue, verwegene und zierliche Kartenkunststücke in Erstaunen setzte. Er verstand auch mit spielerischer Nachlässigkeit die Karten zu mischen und blitzschnell zu ordnen, er warf sein Blatt mit Eleganz auf den Tisch und ließ zuweilen den Daumen über die Kartenränder laufen.
Er war als junger Bursche in ein Geschäft nach Lemberg, dann nach Wien gekommen und hatte einmal irgend jemandem einige Kartenkunststücke abgelernt. Er bildete sich auf eigene Faust weiter aus, eignete sich allerlei andere Taschenspielereien an und brachte es allmählich so weit, daß er in der Welt umherziehen und sich auf Varietébühnen oder in Vereinen mit Erfolg produzieren konnte.
Einmal saßen wir unser fünfzehn oder sechzehn nach dem Abendessen im Kasino an unserem langen Tisch wie gewöhnlich. Es war eine schwüle Nacht, und die Fenster standen offen. Einige Kameraden hatten zu spielen begonnen, andere lehnten am Fenster und plauderten, wieder andere tranken und rauchten schweigend. Da trat der Korporal vom Tage ein und meldete die Ankunft des Taschenspielers. Wir waren zuerst einigermaßen erstaunt. Aber ohne weiteres abzuwarten, trat der Gemeldete in guter Haltung ein und sprach in leichtem Jargon einige einleitende Worte, mit denen er sich für die an ihn ergangene Einladung bedankte. Er wandte sich dabei an den Prinzen, der auf ihn zutrat und ihm – natürlich ausschließlich, um uns zu ärgern – die Hand schüttelte. Der Taschenspieler nahm das wie selbstverständlich hin und bemerkte dann, er werde zuerst einige Kartenkunststücke zeigen, um sich hierauf im Magnetismus und in der Chiromantie zu produzieren. Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als einige unserer Herren, die in einer Ecke beim Kartenspiel saßen, merkten, daß ihnen die Figuren fehlten: auf einen Wink des Zauberers kamen sie aber durch das geöffnete Fenster hereingeflogen. Auch die Kunststücke, die er folgen ließ, unterhielten uns sehr und übertrafen so ziemlich alles, was ich auf diesem Gebiete gesehen hatte. Noch sonderbarer erschienen mir die magnetischen Experimente, die er dann vollführte. Nicht ohne Grauen sahen wir alle zu, wie der philosophische Kadett, in Schlaf versetzt, den Befehlen des Zauberers gehorchend, zuerst durchs offene Fenster sprang, die glatte Mauer bis zum Dach hinaufkletterte, oben knapp am Rand um das ganze Viereck herumeilte und sich dann in den Hof hinabgleiten ließ. Als er wieder unten stand, noch immer im schlafenden Zustand, sagte der Oberst zu dem Zauberer: »Sie, wenn er sich den Hals gebrochen hätte, ich versichere Sie, Sie wären nicht lebendig aus der Kaserne gekommen.« Nie werde ich den Blick voll Verachtung vergessen, mit dem der Jude diese Bemerkung wortlos erwiderte. Dann sagte er langsam: »Soll ich Ihnen aus der Hand lesen, Herr Oberst, wann Sie tot oder lebendig diese Kaserne verlassen werden?« Ich weiß nicht, was der Oberst oder wir anderen ihm auf diese verwegene Bemerkung sonst entgegnet hätten – aber die allgemeine Stimmung war schon so wirr und erregt, daß sich keiner wunderte, als der Oberst dem Taschenspieler die Hand hinreichte und, dessen Jargon nachahmend, sagte: »Nu, lesen Sie.« Dies alles ging im Hof vor sich, und der Kadett stand noch immer schlafend mit ausgestreckten Armen wie ein Gekreuzigter an der Wand. Der Zauberer hatte die Hand des Obersten ergriffen und studierte aufmerksam die Linien. »Siehst du genug, Jud?« fragte ein Oberleutnant, der ziemlich betrunken war. Der Gefragte sah sich flüchtig um und sagte ernst: »Mein Künstlername ist Marco Polo.« Der Prinz legte dem Juden die Hand auf die Schulter und sagte: »Mein Freund Marco Polo hat scharfe Augen.« – »Nun, was sehen Sie?« fragte der Oberst höflicher. »Muß ich reden?« fragte Marco Polo. »Wir können Sie nicht zwingen,« sagte der Prinz. »Reden Sie!« rief der Oberst. »Ich möcht lieber nicht reden,« erwiderte Marco Polo. Der Oberst lachte laut. »Nur heraus, es wird nicht so arg sein. Und wenn es arg ist, muß es auch noch nicht wahr sein.« – »Es ist sehr arg,« sagte der Zauberer, »und wahr ist es auch.« Alle schwiegen. »Nun?« fragte der Oberst. »Von Kälte werden Sie nichts mehr zu leiden haben,« erwiderte Marco Polo. »Wie?« rief der Oberst aus, »kommt unser Regiment also endlich nach Riva?« – »Vom Regiment les’ ich nichts, Herr Oberst. Ich seh nur, daß sie im Herbst sein werden ein toter Mann.« Der Oberst lachte, aber alle anderen schwiegen; ich versichere Sie, uns allen war, als ob der Oberst in diesem Augenblick gezeichnet worden wäre. Plötzlich lachte irgendeiner absichtlich sehr laut, andere taten ihm nach, und lärmend und lustig ging es zurück ins Kasino. »Nun,« rief der Oberst, »mit mir wär’s in Ordnung. Ist keiner von den anderen Herren neugierig?« Einer rief wie zum Scherz: »Nein, wir wünschen nichts zu erfahren.« Ein anderer fand plötzlich, daß man gegen diese Art, sich das Schicksal vorhersagen zu lassen, aus religiösen Gründen eingenommen sein müßte, und ein junger Leutnant erklärte heftig, man sollte Leute wie Marco Polo auf Lebenszeit einsperren. Den Prinzen sah ich mit einem unserer älteren Herren rauchend in einer Ecke stehen und hörte ihn sagen: »Wo fängt das Wunder an?« Indessen trat ich zu Marco Polo hin, der sich eben zum Fortgehen bereitete, und sagte zu ihm, ohne daß es jemand hörte. »Prophezeien Sie mir.« Er griff wie mechanisch nach meiner Hand. Dann sagte er: »Hier sieht man schlecht.« Ich merkte, daß die