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Dickens hat selbst nie gegen dieses England angekämpft. Aber in der Tiefe unten im Unbewußten war das Ringen des Künstlers in ihm mit dem Engländer. Er ist ursprünglich stark und sicher ausgeschritten, nach und nach aber in dem weichen, halb zähen, halb nachgiebigen Sand seiner Zeit müde geworden und immer öfter und öfter schließlich in die alten, breitgestapften Fußspuren der Tradition getreten.

Beide haben sie eine Anspannung über das Alltägliche hinaus, eine Pfeilrichtung gegen das Unendliche. Die Menschen bei Dickens sind alle bescheiden. Mein Gott, was wollen sie?

Dickens ist überwältigt worden von seiner Zeit, und ich muß bei seinem Schicksal immer an das Abenteuer Gullivers bei den Liliputanern denken. Während der Riese schläft, spannen ihn die Zwerge mit tausenden kleinen Fäden an den Erdboden an, halten den Erwachenden so fest und lassen ihn nicht früher frei, ehe er nicht kapituliert und geschworen hat, die Gesetze des Landes nie zu verletzen.

Nenne ich Balzac, Dickens und Dostojewski hier die einzigen großen Romanschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts, so verkenne ich in dieser Voranstellung keineswegs die Größe einzelner Werke Goethes, Gottfried Kellers, Stendhals, Flauberts, Tolstois, Victor Hugos und anderer, von denen mancher einzelne Roman oftmals das abgesonderte Werk insbesondere Balzacs und Dickens' weitaus übertrifft.

Er faßt sie sorgsam an wie Kranke, legt viel Güte um ihr Haupt wie einen Heiligenschein. Selige sind sie ihm, weil sie ewig im Paradies der Kindheit geblieben sind. Denn die Kindheit ist das Paradies in Dickens' Werken.

Launenlos war dieser Ruhm, er drängte Walter Scott zur Seite, überschattete ein Leben lang das Genie Thackerays; und als die Flamme erlosch, als Dickens starb, ging es wie ein Riß durch die ganze englische Welt. Auf der Straße erzählten es Fremde einander, Bestürzung verstörte London wie nach einer verlorenen Schlacht.

Dickens hat im Gegensatz zu den Dichtern, die für sich selbst um Mitleid und Zuspruch bitten die Heiterkeit und Lust seiner Zeit gemehrt, ihren Blutkreislauf befördert. Die Welt ist heller geworden seit dem Tage, da der junge Stenograph des Parlaments zur Feder griff, um von Menschen und Schicksalen zu schreiben.

Als echter Engländer wagt er sich nicht an die Fundamente der Moral, sie sind dem Konservativen sakrosankt wie das gospel, das Evangelium. Und diese Zufriedenheit, dieser Absud vom flauen Temperament seiner Epoche, ist so charakteristisch für Dickens. Er wollte nicht viel vom Leben: und so seine Helden.

Hinter dem Werke steht als der Schöpfer, der Bändiger des Chaos, nicht ein zorniger Gott, gigantisch und übermenschlich, sondern ein zufriedener Betrachter, ein loyaler Bürger. Das Bürgerliche ist die Atmosphäre aller Romane von Dickens. Seine große und unvergeßliche Tat war darum eigentlich nur: die Romantik der Bourgeoisie zu entdecken, die Poesie des Prosaischen.

Dickens oder Gottfried Keller, seine Zeitgenossen, führen mit sanfter Überredung, mit musikalischer Lockung den Leser in ihre Welt, sie plaudern ihn freundlich ins Geschehnis hinein, sie reizen nur die Neugier, die Phantasie, nicht aber wie Dostojewski das ganze aufschäumende Herz.