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Hatte es am Morgen neu geklungen, zu sagen: die Blume, am Mittag war es schon vertraut, am Abend war es schon alt. »Dies Herz, dies Hirn, zur Fruchtbarkeit aufbewahrt durch lange Zeiten, treibt wie vertrockneter und endlich befeuchteter Humus Sprößlinge, Blüten und Früchte in einer Nacht,« notierte der fleißige Daumer; »was dem matten Blick der Gewohnheit unwahrnehmbar geworden, erscheint diesem Auge frisch wie aus Gottes Hand.
Er sagte, daß er zum Nachtessen wieder zu Hause sein werde, aber Anna erwiderte, das sei wohl zu spät, ihr Bruder habe davon gesprochen, daß er den Abend mit Caspar bei der Magistratsrätin Behold verbringen wollte; die Rätin habe schon einige Male darum gebeten, sie sei eine einflußreiche Person, und wenn Daumer sich nicht eine Feindin an ihr machen wolle, müsse er der Einladung folgen.
Der Rat machte ein verlegenes Gesicht, rieb seine ausgemergelten Finger an der Stuhlkante und stotterte, er könne nichts weiter sagen, was an ihm läge, wolle er tun. Der Präsident, stutzig geworden durch die beziehungsvollen Reden, sah die beiden Männer abwechselnd an. Darauf trat er dicht vor Daumer hin, legte die Hand auf dessen Schulter und fragte ernst: »Muß es denn sein?«
Von seiner Seite war nur Lauheit im Spiel gewesen, die Scherereien mit der Regierung hatten ihn verdrossen, jetzt auf einmal, da der mächtige Mann seine Stimme für den Findling erhob, wurde er sich seiner Bereitwilligkeit bewußt, alles Fördernswerte für Caspar Hauser zu tun, und er erklärte sich ohne weiteres einverstanden, als Herr von Feuerbach verlangte, der Knabe müsse seiner bisherigen Lage entrissen werden. »Er soll in eine geordnete Pflege kommen,« sagte der Präsident, »Professor Daumer hat sich freiwillig erboten, ihn zu sich ins Haus zu nehmen, und ich wünsche nicht, daß dieser Schritt im geringsten verzögert werde.«
»Wir müssen einmal mit ihm hinaus aufs Land,« sagte Anna Daumer eines Tages, als der Bruder mit ihr darüber gesprochen. »Er braucht Zerstreuung.« »Er braucht Zerstreuung,« gab Daumer lächelnd zu, »er ist zu gesammelt, das ganze Weltall lastet noch auf seinem Gemüt.«
Mag sein, daß ich mich täusche, dann aber würde ich mich in der Menschheit getäuscht haben und meine Ideale für Lügen erklären müssen.« »Der Himmel bewahre Sie davor,« antwortete Herr von Tucher und nahm eilig Abschied. Noch am selben Tag wurde Daumer durch seine Mutter aufmerksam gemacht, daß Caspars Schlaf nicht mehr so ruhig sei wie sonst.
Glaubt ihr, daß ich nicht würdig bin dazu?« »Du schwärmst,« sagte Anna nach einem langen Stillschweigen fast unwillig. Daumer zuckte lächelnd die Achseln.
Er hatte den heftigen Wunsch, das Ding auseinander nehmen zu dürfen, um zu wissen, was innen war. Wie viel war überall innen, wie viel steckte überall dahinter! Es fiel ein Apfel vom Zweig und rollte ein Stück des abschüssigen Weges entlang. Daumer hob ihn auf, und Caspar fragte, ob der Apfel müde sei, weil er so schnell gelaufen.
»Ist es der, bei dem ich gewesen? Der Du?« drängte Caspar. »Ich weiß es nicht,« antwortete Daumer und fühlte sich ungeschickt und ohne Überlegenheit. »Warum nicht? Du weißt doch alles? Und hab’ ich auch eine Mutter?« »Sicherlich.« »Wo ist sie denn? Warum kommt sie nicht?« »Vielleicht ist sie gleichfalls gestorben.« »So? Können denn die Mütter auch sterben?« »Ach, Caspar!« rief Daumer schmerzlich.
Daumer fand sich verpflichtet, den Bürgermeister von den Beunruhigungen Caspars, wie er es nannte, in Kenntnis zu setzen. Was er befürchtet hatte, geschah.