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Aktualisiert: 28. Mai 2025
»Halten Sie inne, Herr Pfarrer,« sagte die Marquise. »Gegen Sie werde ich aufrichtig sein. Ich kann es hinfort gegen niemand sonst mehr sein, ich bin zur Unwahrheit verurteilt; die Gesellschaft verlangt ein fortwährendes Fratzenschneiden, und unter der Strafe der Schändung gebietet sie uns, ihren Förmlichkeiten zu gehorchen. Es gibt zweierlei Mutterschaft, Herr Pfarrer. Ehemals wußte ich nichts von solchen Unterscheidungen; heute kenne ich sie. Ich bin nur zur Hälfte Mutter besser wär's, es gar nicht zu sein! Helene ist nicht von ihm! O, erschrecken Sie nicht. Saint-Lange ist ein Abgrund, darin viele falschen Gefühle versunken sind, draus unheilvolles Licht hervorgegangen ist, in den die gebrechlichen Gebäude der widernatürlichen Gesetze hinabgestürzt sind. Ich habe ein Kind, das genügt. Ich bin Mutter, so will es das Gesetz. Aber Sie, Herr Pfarrer, der Sie eine so fein mitfühlende Seele haben, werden vielleicht den Weheschrei einer armen Frau verstehen, die nie ein falsches Gefühl in ihr Herz hat dringen lassen. Gott wird mich richten, aber ich glaube doch nicht gegen seine Gesetze zu verstoßen, wenn ich den Regungen nachgebe, die er mir in die Seele gepflanzt hat, und folgendes habe ich nun darin gefunden: Ist nicht ein Kind, Herr Pfarrer, das Abbild zweier Wesen, die Frucht zweier ganz ineinander verschmolzenen Gefühle? Wenn es nicht mit allen Fibern des Leibes, wie mit aller Liebe des Herzens verwachsen ist, wenn es nicht an kostbare Wonnen, an die Zeiten und Orte, wo diese beiden Wesen glücklich waren, an ihre Sprache voll menschlicher Musik und an ihren süßen Gedankenaustausch erinnert, dann ist ein Kind ein verfehltes Werk. Ja, für sie muß es ein entzückendes Miniaturbild sein, in welchem sie die Poesie ihres geheimen Doppellebens wiederfinden. Es muß für sie eine Quelle furchtbarer Regungen sein, muß zugleich all ihre Vergangenheit und all ihre Zukunft sein. Meine arme, kleine Helene ist das Kind ihres Vaters, das Kind der Pflicht und des Zufalls; sie erweckt in mir nur den Instinkt des Weibes, ich stehe für sie nur auf dem Boden des Gesetzes, das unwiderstehlich antreibt, das Geschöpf zu beschützen, das unser Schoß gebar. Ich bin nicht zu tadeln, im Sinne der Gesellschaft. Habe ich der Tochter nicht mein Leben und mein Glück geopfert? Ihr Schreien erschüttert mich im Innersten; wenn sie ins Wasser fiele, würde ich nachspringen, sie herauszuholen. Aber sie ist nicht in meinem Herzen. Ach, die Liebe hat mir den Traum einer erhabeneren, vollkommeneren Mutterschaft vorgegaukelt; und in einem erloschenen Traume habe ich das Kind liebkost, nach dem mein Herz verlangte und das unerzeugt blieb: die köstliche Blume, die schon in der Seele wächst, ehe sie im Leibe wachsen kann. Ich bin für Helene das, was nach der natürlichen Ordnung eine Mutter für ihren Sprößling sein muß. Wenn sie meiner einmal nicht mehr bedarf, so ist eben, kurz gesagt, die Ursache verschwunden, und damit hören auch die Wirkungen auf. Wenn die Mutter das anbetungswürdige Vorrecht hat, die Mutterschaft auf das ganze Leben ihres Kindes auszudehnen, dann muß wohl diese göttliche Dauer des Gefühls dem Lichtschein einer seelischen Empfängnis zugeschrieben werden. Wenn das Kind nicht zu allererst schon in der Seele der Mutter gebildet wird, dann dauert die Mutterschaft nur eine gewisse Zeit und hört auf, wie es bei den Tieren der Fall ist. Und es ist wahr, ich fühle es: je größer meine arme Kleine wird, um so mehr löst mein Herz sich von ihr los. Die Opfer, die ich ihr gebracht, haben mich ihr schon entfremdet, während bei einem andern Kinde, das fühle ich, mein Herz unerschöpflich sein würde. Für dieses andere würde überhaupt nichts ein Opfer sein alles wäre Freude gewesen. Hier, Herr Pfarrer, vermögen in mir die Religion und die Vernunft nichts gegen meine Gefühle auszurichten. Hat sie unrecht, wenn sie sterben will, die Frau, die weder Mutter noch Gattin ist, die zu ihrem Unglück einen Blick in die grenzenlosen Schönheiten der wahren Liebe, in die unermeßlichen Freuden der rechten Mutterschaft getan hat? Was kann aus ihr werden? Ich werde Ihnen sagen, was sie fühlt. Hundertmal am Tage, hundertmal in der Nacht schüttelt ein Schauer mir Hirn, Herz und Leib, wenn eine nur schwach abgewehrte Erinnerung mir die Bilder eines Glückes vorführt, das ich mir größer vorstelle, als es vielleicht sein würde. Diese grausamen Phantasien nehmen meinen Gefühlen alle Wärme, und ich frage mich: >Wie würde mein Leben sein, wenn
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