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Indem ihm so das auf das eigene und sinnliche Glück gerichtete Ideal mit dem Vernunftideal eine Einheit bildet, erhebt er sich ganz über den Gegensatz zwischen eudämonistischer und rationalistischer Moral, auf dem die Kantische Ethik ruht. Vielen Mißverständnissen gegenüber muß durchaus betont werden, daß seine Fremdheit gegen die logische Strenge der Vernunftethik absolut nicht bedeutet, er habe das Leben einem sinnlichen und Genußideal untertan machen wollen. Ja, um seinen Abstand hiervon zu begreifen: er kann es direkt aussprechen , es sei Kants unsterbliches Verdienst, daß er die Moraldem schwankenden Kalkul einer bloßen Glückseligkeitstheorie entgegengestelltund sie in ihrer höchsten übersinnlichen Bedeutung erfaßt habe. Das widerstreitet gar nicht dem Ausruf in den Lehrjahren: „O der unnötigen Strenge der Moral, da die Natur uns auf ihre liebliche Weise zu allem bildet, was wir sein sollen.“ Denn die Übersinnlichkeit, die er dort meint, ist eben nicht die Kantische, die einerseits eine exklusive Vernunftherrschaft, andrerseits unsere Einstellung in eine transszendente Ordnung der Dinge bedeutet. Goethes Übersinnliches will hier nur die allumfassende Natur besagen, die freilich ebensowenig einseitige Sinnlichkeit ist wie einseitige Vernünftigkeit. Das spricht er ganz unzweideutig einige Jahre später in einem Briefe an Carlyle aus: „Einige haben den Eigennutz als Triebfeder aller sittlichen Handlungen angenommen; andere wollten den Trieb nach Wohlbehagen, nach Glückseligkeit als einzig wirksam finden; wieder andere setzten das apodiktische Pflichtgebot obenan: und keine dieser Voraussetzungen konnte allgemein anerkannt werden, man mußte es zuletzt am geratensten finden, aus dem ganzen Komplex der gesunden menschlichen Natur das Sittliche sowie das Schöne zu entwickeln.“ Die eigentliche Großartigkeit des Kantischen Moralismus, die immer wieder über seine Verengerung und Vereinseitigung der Wertsphären triumphiert, hat Goethe freilich niemals erfaßt. Das sittliche Sollen ist für Kant die eine Karte, auf die der ganze Wert des Lebens gesetzt ist; und daran mußte Goethe vor allem die ungeheure Vergewaltigung aller anderen Lebensgebiete fühlen. „Alles Sollen ist despotisch,“ sagt er, und ihm, dem aus der tiefen Einheitlichkeit des Seins die gleichberechtigte Freiheit all seiner Elemente quoll, erschien dies unerträglich, weil er nicht in die Tiefe der Kantischen Lehre drang, in der dieses Sollen sich als die äußerste und unbedingte Freiheit des Ich offenbarte. Denn denDespotismusjenes Sollens kann nach der Kantischen Deutung weder ein Gott noch ein Staat, weder ein Mensch noch eine Sitte uns auferlegen, sondern allein wir selbst. Die ganze Peripherie des Lebens erscheint Kant von Mächten mindestens mitbestimmt, die außerhalb des tiefsten Ich liegen, und nur an dem Punkte der sittlichen Freiheit, d. h. an dem Gesetze, das wir uns selbst auferlegen, bricht dieses hervor