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Wenn unsere Natur einheitlich ist, weil die Natur überhaupt es ist, so zeigt sich damit der ethisch-praktische Konflikt nicht nur in uns, sondern auch außerhalb unser als nichtig. Sie muß das Ich und seine Interessen mit der sozialen Gesamtheit ebenso versöhnen, wie die Sinnlichkeit mit der Vernunft. Daraus erklärt sich, daß Goethe den eigentlich sozialen Problemen auch in ihren allgemeinsten Formen ganz fremd gegenübersteht. Denn immer handelt es sich in diesen darum, das unzulängliche oder verschobene Gleichgewicht zwischen dem Individuum und seinem sozialen Kreise herzustellen. Goethe steht hier ganz auf dem Boden seiner Zeit, die von dem Einzelnen als Sozialwesen nur zu fordern pflegte, daß er seine persönliche Kraft und Einzelinteresse ganz individuell bewähre. Völlig im Tone des landläufigen Liberalismus bemerkt er gegen die Saint-Simonisten, daß jeder bei sich anfangen und zunächst sein eigenes Glück machen müsse, woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar entstehen werde. Dies mag für ihn auch ästhetisch begründet sein. Er verlangt einmal vom Künstler, er sollehöchst selbstsüchtigverfahren, nur das tun, was ihm Freude und Wert ist. Für die Kunst ist dieser Liberalismus auch völlig angebracht, weil hier tatsächlich ein Maximum von Gesamtwert entsteht, wenn jeder Künstler seinem individuellen Ideale nachgeht; und weil das objektiv Wertvolle der Kunst, das jenseits des Gegensatzes von Ich und Du steht, sich dem Künstler allerdings in der Form eines persönlich leidenschaftlichen Begehrens darstellt. Für geringwertige ästhetisch angelegte Naturen droht hiermit freilich die Gefahr eines Libertinismus, der die ästhetischen Werte ausschließlich ihrer subjektiven Genußseite wegen kultiviert, unter dem Selbstbetrug, daß sie, als ästhetische, an sich selbst etwas Überindividuelles, objektiv Wertvolles seien. Solche Tendenz auf den Genuß als das Letztentscheidende lag Goethe völlig fern, wenn er das egoistische Prinzip betonte. Er war sich bewußt, nur seine einheitliche Persönlichkeit zu entwickeln