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Wir haben im vorigen in wenigen knappen Zügen die Geschichte der Massenstreiks in Rußland zu skizzieren gesucht. Schon ein flüchtiger Blick auf diese Geschichte zeigt uns ein Bild, das in keinem Strich demjenigen ähnelt, welches man sich bei der Diskussion in Deutschland gewöhnlich vom Massenstreik macht.
Es trennte die Geister nach einem Schema, auf das die Bezeichnung Revisionisten und Radikale nicht mehr passen wollte. Mein Temperament riß mich rückhaltlos auf die Seite derer, die den Massenstreik verteidigten; mein Mann stand im entgegengesetzten Lager, wo die Gewerkschafter sich vereinigt hatten. Auch die Ansichten unserer Mitarbeiter gingen auseinander.
Engels, Die Bakunisten an der Arbeit. Hier haben wir die Argumentation, die für die Stellungnahme der internationalen Sozialdemokratie zum Massenstreik in den folgenden Jahrzehnten maßgebend war. Sie ist ganz auf die anarchistische Theorie des Generalstreiks zugeschnitten, d.
Und wenn das vulgäre Schema den Zusammenhang zwischen Massenstreik und Revolution nur in den blutigen Straßen-Renkontres erblickt, mit denen die Massenstreiks abschließen, so zeigt uns ein etwas tieferer Blick in die russischen Vorgänge einen ganz umgekehrten Zusammenhang: in Wirklichkeit produziert nicht der Massenstreik die Revolution, sondern die Revolution produziert den Massenstreik.
Auch hier weicht die Wirklichkeit von dem theoretischen Schema weit ab, und die pedantische Vorstellung, in der der reine politische Massenstreik logisch von dem gewerkschaftlichen Generalstreik als die reifste und höchste Stufe abgeleitet, aber zugleich klar auseinandergehalten wird, ist von der Erfahrung der russischen Revolution gründlich widerlegt.
Ein Versuch des Zentralkomitees der russischen Sozialdemokratie, als Demonstration für die Duma und für die Wiedereröffnung der Periode des liberalen Redens einen vierten Massenstreik in ganz Rußland hervorzurufen, fällt platt zu Boden.
Wenn wir nun dieses theoretische Schema mit dem wirklichen Massenstreik vergleichen, wie er in Rußland seit fünf Jahren auftritt, so müssen wir sagen, daß der Vorstellung, die in der deutschen Diskussion im Mittelpunkt steht, fast kein einziger von den vielen Massenstreiks entspricht, die stattgefunden haben, und daß anderseits die Massenstreiks in Rußland eine solche Mannigfaltigkeit der verschiedensten Spielarten aufweisen, daß es ganz unmöglich ist, von »dem« Massenstreik, von einem abstrakten schematischen Massenstreik zu sprechen.
Dies äußert sich nicht bloß geschichtlich darin, daß die Massenstreiks, von jenem ersten großen Lohnkampf der Petersburger Textilarbeiter im Jahre 1896-1897 bis zu dem letzten großen Massenstreik im Dezember 1905, ganz unmerklich aus ökonomischen in politische übergehen, so daß es fast unmöglich ist, die Grenze zwischen beiden zu ziehen.
Sie hatten von jeher dem Theoretisieren über den Massenstreik skeptisch gegenübergestanden, und auf ihrem Kongreß in Köln sprachen sie sich rückhaltlos aus; von der Unfruchtbarkeit der Partei, von dem stagnierenden Sumpf der gegenwärtigen Situation, von der kläglichen Lage, in die wir durch die wirkungslos verpuffte Landtagswahldemonstration gekommen seien, von dem Mißverhältnis zwischen Worten und Taten war viel die Rede.
Durch die logische innere Entwicklung der fortschreitenden Ereignisse schlägt der Massenstreik diesmal um in einen offenen Aufstand, einen bewaffneten Barrikaden- und Straßenkampf in Moskau. Die Moskauer Dezembertage schließen als der Höhepunkt der aufsteigenden Linie der politischen Aktion und der Massenstreikbewegung das erste arbeitsreiche Jahr der Revolution ab.