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Fünfzig Jahre ist Dostojewski alt: aber er hat die Qual von Jahrtausenden erlebt. Da sagt endlich, im letzten, drängendsten Augenblick sein Schicksal: Es ist genug. Gott wendet Hiob wieder sein Antlitz zu: Mit zweiundfünfzig Jahren darf Dostojewski wieder zurück nach Rußland. Seine Bücher haben für ihn geworben, Turgenjeff, Tolstoi sind verschattet. Rußland blickt nur mehr auf ihn.

Zwanzig oder dreißig solcher grandioser Stellen hat Dostojewski geschaffen, und alle sind sie von so unvergleichlicher Vehemenz der leidenschaftlichen Zusammenballung, daß sie einem nicht nur beim ersten Lesen, da sie einen gleichsam noch wehrlos überfallen, sondern noch beim vierten oder fünften Wiederholen wie eine Stichflamme durch das Herz fahren.

»Gott hat mich mein ganzes Leben lang gequältDostojewski »Gibt es einen Gott oder nichtfährt Iwan Karamasoff in jenem furchtbaren Zwiegespräch seinen Doppelgänger, den Teufel, an. Der Versucher lächelt.

Und wie ein grandioser Salut für den Toten springt hinter seinem letzten Weg die furchtbare Mine auf: die Revolution. Drei Wochen später wird der Zar ermordet, der Donner des Aufstandes rollt, Blitze der Züchtigung durchzucken das Land: Wie Beethoven stirbt Dostojewski im heiligen Aufruhr der Elemente, im Gewitter.

Es ist, als hätte sich diese Zeit lauer Menschen gerade diesen einen aufgespart, um zu zeigen, welche titanischen Maße in Lust und Qual auch unserer Welt noch möglich seien, und er, Dostojewski, scheint dumpf den gewaltigen Willen über sich zu spüren. Denn niemals wehrt er sich gegen sein Schicksal, niemals hebt er die Faust.

Dostojewski hat bis zur letzten Stunde die Feder nicht gelassen, aber was er gestaltet, ist längst nicht mehr ein Kunstwerk im irdischen engen Sinne, sondern das Evangelium des Dritten Reiches, irgendein Mythus der neuen russischen Welt, eine apokalyptische Verkündung, dunkel und rätselhaft. Kunst war dem ewig Ungenügsamen nur ein Anfang, und sein Ende war im Endlosen.

Sanft ist es gesprochen, und groß ist sein Sinn, selig das Wort: »Meine Freunde, fürchtet das Leben nichtUnd es ist ein Schweigen aus diesem Wort, schauernd lauscht die Tiefe, und sie schwebt, sie überschwebt alle Qualen, die Stimme, da sie spricht: »Nur durch Qual können wir das Leben lieben lernenWer spricht dies tröstendste Wort des Leidens? Der Leidendste aller, er selbst, Dostojewski.

Denn in das Wort Rußland, in die Idee Rußland hinein träumt Dostojewski diesen Christustraum, die Idee der Versöhnung der Gegensätze, die er in seinem Leben, in der Kunst und selbst in Gott durch sechzig Jahre vergeblich gesucht. Aber dieses Rußland, welches ist es, das reale oder das mystische, das politische oder das prophetische? Wie immer bei Dostojewski: beides zugleich.

Wie in sich selbst, dem ewigen Dualisten, dem Menschen am Kreuzholz des Zwiespalts, wie in seinen Gestalten, zersprengt Dostojewski auch dem Leser die Einheit des Gefühls.

Jede Diskussion bei Dostojewski endet beim russischen Gedanken oder beim Gottesgedanken und wir sehen, daß diese beiden Ideen für ihn eine Identität sind. Russische Menschen, seine Menschen, können so wie in ihren Gefühlen auch in ihren Gedanken nicht haltmachen, sie müssen unvermeidlich vom Praktischen und Tatsächlichen in das Abstrakte, vom Endlichen ins Unendliche, immer ans Ende.